Führung ist ein zentrales Thema in Unternehmen und Organisationen. Sie umfasst die Aufgaben, Prozesse und Handlungen, die dazu dienen, eine Gruppe von Menschen zu leiten, zu motivieren und zusammenzubringen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Je zunehmender unsere Welt digitalisiert und mit KI bereichert wird, desto wichtiger wird die zwischenmenschliche Interaktion.
In den letzten Jahren hat sich jedoch das Verständnis von Führung stark verändert. Während früher vor allem autoritäre Führungsstile dominierten, steht heute immer mehr die Entwicklung und Förderung der Mitarbeiter im Vordergrund. Eine wichtige Methode hierbei ist der Fokus auf die Stärken der Mitarbeitenden, auch bekannt als «Stärken stärken».
Die theoretische Grundlage von positiver Psychologie
Der Fokus auf die Stärken der Mitarbeiter beruht auf Erkenntnissen aus der positiven Psychologie. Diese befasst sich nicht nur mit psychischen Krankheiten und Problemen, sondern legt den Schwerpunkt auch auf positive Emotionen, persönliches Wachstum und die Förderung von Ressourcen.
Erst kürzlich haben wir in den sozialen Medien einen Beitrag über das im 2009 von Volkswagen durchgeführte Experiment in der Stockholmer U-Bahn erfahren. Über Nacht wurde die Treppe neben der Rolltreppe in ein riesiges Keyboard verwandelt. Die ungefragte Reaktion der Pendler am Folgetag? 66% mehr Menschen wählten die Treppe statt der Rolltreppe. Positivität und Spass wirken sich in der Führung nachweislich positiv aus. Aber Achtung: positive Leadership hat nichts damit zu tun, Probleme nicht anzusprechen, zu ignorieren oder auszublenden. Weit gefehlt. Aber zurück zum Thema.
Ein zentrales Konzept in der positiven Psychologie ist das sogenannte PERMA-Modell von Martin Seligman. Dieses beschreibt fünf Säulen, die für ein erfülltes und glückliches Leben sorgen sollen: Positive Emotionen, Engagement, Beziehungen, Sinn und Erfüllung sowie Leistungsstärke. Diese Säulen können auch auf den Arbeitskontext übertragen werden und dienen als Grundlage für die «Stärken stärken»-Methode.
Die fünf Säulen der positiven Psychologie
- Positive Emotionen (positive emotions)
Das Erleben von Freude, Zufriedenheit und anderen positiven Gefühlen. Um positive Emotionen zu fördern, ist es wichtig, dass Mitarbeitende in ihrem Arbeitsumfeld die Möglichkeit haben, ihre Stärken einzusetzen und somit Erfolgserlebnisse zu erfahren.
- Engagement (engagement)
Hierbei geht es darum, dass Mitarbeitende in ihrer Arbeit aufgehen und sich mit voller Hingabe engagieren. Dies kann erreicht werden, indem sie Aufgaben übernehmen dürfen, die ihren Stärken entsprechen und ihnen Freude bereiten.
- Beziehungen (relationships)
Mitarbeitende sollten nicht nur inhaltlich gut zu ihren Aufgaben passen, sondern auch zu den Menschen in ihrem Umfeld. Eine positive Zusammenarbeit und ein gutes Miteinander können dazu beitragen, dass Mitarbeitende sich wohlfühlen und motiviert sind.
- Sinn und Erfüllung (meaning)
Es ist wichtig, dass Mitarbeitende in ihrer Arbeit einen Sinn sehen und das Gefühl haben, etwas Bedeutendes zu tun. Dies kann erreicht werden, indem sie ihre Stärken einsetzen und dadurch einen positiven Beitrag leisten können.
- Leistungsstärke (accomplishment)
Durch die Förderung der Stärken der Mitarbeitenden kann auch deren Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Indem sie Aufgaben übernehmen dürfen, die ihren Stärken entsprechen, sind sie motivierter und können bessere Ergebnisse erzielen.
«Stärken stärken» als Führungsmethode
Das Ziel des «Stärken stärken»-Ansatzes in der Führung ist es, die Mitarbeiter nicht nur zufrieden zu stellen, sondern sie in ihrer Entwicklung zu fördern und ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Dies geschieht durch gezielte Massnahmen, wie zum Beispiel:
- Stärkengespräche: In regelmässigen Gesprächen sollen gemeinsam die individuellen Stärken der Mitarbeiter identifiziert werden. Diese können dann gezielt in die Arbeitsaufgaben einbezogen werden. Sie werden überrascht sein, wie oft sich hier Überraschungen ergeben. Beidseitig.
- Gezielte Aufgabenzuweisungen: Mitarbeiter:innen sollen Aufgaben übernehmen dürfen, die ihren Stärken entsprechen und somit Erfolgserlebnisse erfahren, welche zu weiteren Entwicklungen motivieren.
- Feedback-Kultur: Es ist wichtig, dass Mitarbeitende regelmässig Feedback erhalten, um ihre Stärken zu erkennen und weiterentwickeln zu können. Wichtig dabei ist, dass die Feedbackregeln auch richtig angewendet werden. Sonst wird aus der Feedback-Kultur schnell ein Rohrkrepierer oder Schlimmeres.
- Förderung von Weiterbildungen: Durch gezielte Weiterbildungsmassnahmen können Mitarbeitende ihre Stärken noch weiter ausbauen und sich persönlich entwickeln. Gerade aktuell braucht jedes Unternehmen zunächst mal eine Person, welche das Thema KI ins Unternehmen führt. Das muss nicht zwingend die bereits überlastete Leiterin der Informatikabteilung sein. Wie wäre es mit dem Nachwuchs oder jemandem aus dem Talent-Pool?
Vorteile der «Stärken stärken»-Methode
Durch die Anwendung der «Stärken stärken»-Methode in der Führung ergeben sich zahlreiche Vorteile für Unternehmen und Mitarbeitende:
- Motivationssteigerung: Indem Mitarbeiter Aufgaben übernehmen dürfen, die ihren Stärken entsprechen, sind sie motivierter und engagieren sich mehr in ihrer Arbeit.
- Positive Arbeitsatmosphäre: Durch die Förderung von Stärken entsteht eine positive Atmosphäre im Team, da jeder Einzelne seine individuellen Fähigkeiten einbringen kann und somit zum Erfolg des gesamten Teams beiträgt.
- Bessere Leistung: Durch die gezielte Förderung von Stärken können Mitarbeiter besser in ihrem Bereich arbeiten und somit auch bessere Ergebnisse erzielen.
- Persönliche Entwicklung: Die «Stärken stärken»-Methode fördert nicht nur die beruflichen Fähigkeiten, sondern auch die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter.
Optimal gelebt entsteht ein Arbeitsplatz, der zugleich eine Art «Safe Space» wird. Safe Spaces sind Räume (physisch oder digital), in denen sich Personen sicher fühlen, um sich zu entwickeln, aus Fehlern zu lernen und sich so gegenseitig zu empowern.
Kritik am «Stärken stärken»-Ansatz
Trotz der vielen Vorteile gibt es auch Kritik an der «Stärken stärken»-Methode. Ein häufiger Vorwurf ist, dass dadurch Schwächen vernachlässigt werden und somit einseitig gefördert wird. Ausserdem kann es auch dazu führen, dass Mitarbeitende unzufrieden sind, wenn sie Aufgaben übernehmen müssen, die nicht ihren Stärken entsprechen. Es gibt vermutlich keinen Job auf dieser Welt, an dem wirklich 100% aller anfallenden Aufgaben Spass macht. So illusorisch sollte man nicht werden – und das kann man fair und respektvoll auch kundtun.
Um diesen Kritikpunkten entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass auch Schwächen erkannt und wo auch wirklich nötig gezielt verbessert werden. Zudem sollten Mitarbeitende in gewissen Bereichen auch aus ihrer Komfortzone herausgeführt werden, um sich weiterzuentwickeln.
Zu guter Letzt wird von Skeptikern des positive Leaderships auch das Bild von «Kumbaya-singenden», Händchenhaltenden und ums Lagerfeuer sitzenden Führungskräften gemalt. Weit gefehlt, so viel ist klar. Der zielführende Einfluss in der positiven Psychologie auf das Betriebsergebnis wurde schon x-fach in Studien belegt und wird sogar von Metastudien gestützt. Warum also nicht einfach einmal als Führungskraft aus der Komfortzone kommen und den Ansatz testen?
Fazit
Der Fokus auf die Stärken der Mitarbeitenden in der Führung ist eine wichtige Methode, um deren Motivation und Leistungsfähigkeit zu steigern. Durch die Anwendung des PERMA-Modells der positiven Psychologie können Unternehmen eine positive Arbeitsumgebung schaffen, in der Mitarbeiter ihre Stärken gezielt einsetzen können. Allerdings ist es auch wichtig, Schwächen nicht zu vernachlässigen und Mitarbeiter in ihrer persönlichen Entwicklung ganzheitlich zu fördern.
So kann eine erfolgreiche und zufriedenstellende Zusammenarbeit auf Augenhöhe entstehen, in der gemeinsame Ziele erreicht werden können. Letztendlich kommt es darauf an, individuell auf jeden Mitarbeiter einzugehen und seine Stärken kennenzulernen und diese zu stärken, um ein erfülltes Arbeitsleben zu ermöglichen. So wird nicht nur die Arbeitszufriedenheit gesteigert, sondern auch das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeiter langfristig gefördert.
Die «Stärken stärken»-Methode ist somit eine wertvolle Ergänzung in der modernen Führungskultur, die sich zunehmend auf positive Psychologie und Ressourcenorientierung ausrichtet. Weiterhin bietet sie einen wichtigen Ansatzpunkt für Unternehmen, um ihre Mitarbeitende bestmöglich einzusetzen und langfristig erfolgreich zu sein. In unserer Zeit, in der die Arbeitswelt weiter komplexer wird und ständige Entwicklung erfordert, ist es umso wichtiger, auf die individuellen Stärken der Mitarbeitenden zu setzen und so eine starke Basis für Innovationen und Wachstum zu schaffen. Daher sollte die «Stärken stärken»-Methode ein fester Bestandteil fast jeder modernen Führungskultur sein.